Montag, Juni 29, 2009

" Leipziger Karrieren"

Fünf Freunde im Fieber einer neuen Gründerzeit. Auch eine Art Abschiedsmelodie

dalmatiner

Frank ist tod. Mit seinem 340 PS starken BMW zerschellte er an einem Brückenpfeiler der Autobahn [...]  Zur Beerdigung werden die alten Freunde kommen. Die Clique. Gebürtige Leipziger, Jahrgänge um 1965. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft. In der DDR ein Künstler, ein Bohemien zu sein, war eine Frage mutiger Selbstdefinition, man bedurfte keiner Statusbeglaubigungen durch Markt oder kritische Öffentlichkeit, dort war ohnehin alles ideologisch verdreht. Der Verzicht auf den bescheidenen Wohlstand, den ein DDR-Bürger durch harte Arbeit erlangen konnte, fiel leicht; keine glanzvoll lockende Konsumwelt bedrohte die Souveränität ihrer Seelen [...]  Mauer und Sozialismus fielen, weil vor allen die Sachsen die Geduld mit ihren impotenten Herrschern verloren hatten. Das Land wurde kapitalistisch, in Leipzig ging die Post ab [...]  Wann immer sie Geld brauchten, sagte er zu seinen Freunden, könnten sie  für ihn arbeiten, zu großzügigem Stundenlohn.  Aber die Freunde wollten gar nicht mehr arbeiten als zuvor. Es gab nichts, was sich unbedingt ändern musste. Der alte Staat war abserviert, jetzt galt die Freiheit, die man sich einst genommen hatte, als verbrieftes Recht. Keiner der Freunde benötigte vom Westen das Geschenk einer neuen Existenz. Doch die Welt hat sich über Nacht gedreht, das Nischenland war abgebrannt [...]  Frank klagte, dass er sich seit langer Zeit nicht mehr verliebt habe [...] In der Nacht zuvor raste Frank in den Tod. Seine elegante Dalmatiner-Hündin, die ihren Platz im Fond des Wagens hatte, überlebte.

Frankfurter Rundschau - Text: © Tom Peuckert

Photos © Mike Schmidt